Teil 1 des Interviews mit René Wiesner zu seinem neuen Film „Thanatomania“ (unterstützt ihn auf www.startnext.com/thanatomania), Mondos und Marian Dora. Viel Spaß beim lesen!
Ittenbach-Fans: Schön, dass du dich zum Interview bereit erklärt hast. Stell dich doch bitte kurz vor und erzähle wie du zum Filmemachen gekommen bist.
René Wiesner: Mein Name ist René Wiesner und ich bin 34 Jahre alt. Ich bin immer schon an Film interessiert gewesen, aber der erste Kontakt kam dann etwa 2014. Da bin ich eher durch Zufall an ein paar Independent-Filmer geraten und habe mit denen zusammen einen Film namens „ABCs of Superheroes“ gemacht. Da habe ich dann Blut geleckt. Kurze Zeit später fing ich dann mit meinen eigenen Projekten an.
IF: Deine Filme sind meist eine Art Dokumentation oder auch Mondos. Wie kamst du auf diese Richtung?
RW: Mir fällt es selber immer schwer meine Filme zu katalogisieren. Ich würde sagen meine Filme sind keine reinen Mondofilme, aber sie gehen in diese Richtung. Mondo ist für mich schon immer ein interessantes Genre gewesen. Ich finde Filme interessant, die auf kreative Weise Realität und Fiktion mischen und das habe ich in meinen Filmen auch versucht. Auch Dokumentationen fand ich schon immer spannend oder auch so etwas wie „Jackass“. Das finde ich unglaublich spannend und auch unterhaltsam. Ich sehe gerne wenn jemand bereit ist für seine Kunst zu bluten oder Leid zu erfahren, wenn jemand sich vor der Kamera in die Eier treten lässt um andere zu unterhalten. Das finde ich etwas besonderes, einen Schritt weiter zu gehen als eine Mainstream-Produktion.
Es fing aber eher zufällig mit meinem Addio Uomo an, den ich 2018 veröffentlicht habe. Zu dieser Zeit hatte ich selbst noch gar nicht vor damit etwas zu machen. Ich hatte ihn erst mal nur gedreht und dachte vielleicht schneidet ihn dann irgendjemand mal. Dann kam die Zeit mit Marian Dora am Set von „Pesthauch der Menschlichkeit“, wo ich dann weiter an die DIY-Methode herangeführt wurde und wo ich gesehen habe: der Mann schafft mit einfachsten Mitteln, etwas ganz besonderes zu machen. Dann habe ich mir gedacht, ich bringe mir jetzt selbst bei wie ich einen Film schneide und nachbearbeite. Das war dann ein Learning-by-Doing.
Bei dem Thema meines ersten Films bin ich dann geblieben. Der Tod hat irgendwie mit allem zu tun, das fand ich schon immer faszinierend. Auch wenn ich schon so viele Filme gemacht habe, die sich darum drehen, bin ich zu dem Thema noch nicht klüger geworden und werde damit weitermachen, bis ich eine Erkenntnis finde.
IF: Du hattest angesprochen, dass du an den alten Mondo-Filmen interessant findest, wie Realität und Fiktion vermischt werden. Deine Filme sind ja aber mehr realistisch/dokumentarisch, beispielsweise Mondo Siam.
RW: Also bei „Mondo Siam“ ist eigentlich nichts inszeniert. Da ist alles so gefilmt, wie ich es vor die Linse bekommen habe. Wäre ich an dem selben Orten eine Stunde später gewesen, wäre wahrscheinlich ein komplett anderer Film daraus geworden. Es ging mir bei dem Film auch mehr darum, zu zeigen was ist. Mondo ist eigentlich etwas anderes, da ist viel Inszenierung dabei. Aber bei ein paar meiner anderen Filme wie Ossarium und Todessehnsucht habe ich Mondo-Elemente genommen und versucht diese in eine Story zu integrieren. Das waren für mich auch Experimente, ob so etwas funktioniert. Viele meiner Filme haben einen experimentellen Gedanken dahinter. Es sind Experimente für mich, ob etwas so hinhaut oder funktionieren könnte. Diese Mischung aus Mondo-Elementen und Story will ich auch weiter verfolgen, wenn sich mir die Gelegenheit bietet. Ich mache meine Filme meistens, weil ich gerade die Gelegenheit dazu habe, weil ich sie gerade machen kann. Meistens sind sie nicht geplant, sondern es ergeben sich einfach die Gelegenheiten dazu.
IF: Was sind denn bei Mondo-Filmen deine Favoriten beziehungsweise welche Werke und Regisseure haben dich beeinflusst?
RW: Empfehlen kann ich in dem Bereich zum Beispiel alles von Prosperi und Jacopetti [Anm.: Gualtiero Jacopetti und Franco Prosperi sind die Regisseure von „Mondo Cane“], die haben das Genre Mondo überhaupt erst erschaffen und definiert. Wobei man sagen muss, Filme in der Art gab es eigentlich schon immer, sozusagen der inszenierte Dokumentarfilm. Das gab es schon in den 1920ern, beispielsweise „Nanuk, der Eskimo“. Ein Film den ich als Proto-Mondo bezeichnen würde ist „Land ohne Brot“ [Anm.: Spanien, 1933] von Luis Buñuel. Das ist ein Kurzfilm, er geht 30 Minuten und ich glaube man kann ihn auch auf Youtube schauen und der hat im Grunde schon alle Elemente von „Mondo Cane“ vorweggenommen.
Für Einsteiger würde ich sagen ist „Mondo Cane“ ein sehr guter Film. Er ist aus heutiger Sicht relativ harmlos, einen großen Schockfilm wird man nicht bekommen. Aber dafür bekommt man eine ganze Menge Filmkunst, teilweise mit den besten Crewmitgliedern der Welt. Kameramann war Antonio Climati, meiner Meinung nach einer der besten Kameramänner überhaupt. Der hat später auch selber Mondo-Filme gemacht, die auch sehr gut und sehr sehenswert sind. Die sind nicht ganz auf dem Jacopetti und Prosperi Level aber die schlagen in genau die gleiche Kerbe.
Was oft missverstanden wird: Mondo wird immer in eine Kategorie gesteckt mit Shockumentary Filmen. Im Grunde sind Shockumentaries die Ablösung von Mondo, die Geburtsstunde davon ist so etwas wie „Gesichter des Todes“, die in die gleiche Richtung gehen aber ein bisschen billiger, zynischer und eher für den Heimkinomarkt gemacht sind.
„Mondo Cane“, „Africa Addio“ und „Alle Frauen dieser Welt“, das sind dagegen noch Kinoproduktionen, wo man wirklich etwas geboten bekommt, wo jahrelang gedreht wurde, überall auf der Welt. Das ist etwas besonderes.
Heute ist die Shockumentary abgelöst worden, durch das Mixtape. Je weiter wir uns wegbewegen von „Mondo Cane“, desto schlechter wird es. Ein Mixtape ist eine plumpe Aneinanderreihung von Schocksequenzen aus dem Internet, einfach nur Clips. Das soll einen halt schocken, aber da geht alles verloren was die Filme eigentlich ausmacht, die Kunst dahinter. Es gibt aber durchaus auch interessante Mixtapes die unterhaltsam sind, die ein bestimmtes Thema haben, in die man einmal reinschauen kann.
Mich interessieren die Filme wo eine filmische Kunst dahinter steht, hauptsächlich die italienischen Filme, wobei es da qualitätsmäßig auch ganz große Unterschiede gibt.
Ansonsten gibt es noch den belgischen Film „Of the Dead“ (1981). Der ist auch sehr gut. Es ist eigentlich sehr schade, dass es den gibt, denn den würde ich selber gerne machen. Da geht es um Begräbnisse und Beerdigungsriten, die weltweit miteinander verglichen werden. Das ist sehr spannend und sehr gut und auch sehr würdevoll inszeniert. Das wäre auch etwas, dass sich die Leute anschauen können und sagen: ja, das ist ein ernstzunehmender Film.
IF: Du machst bei deinen Filmen das meiste selbst: Regie, Kamera, Schnitt und so weiter. Kommt das daher weil du gerne alles unter Kontrolle hast oder ist das dem Budget geschuldet?
RW: Ich versuche gern so viel wie möglich selber zu machen. Ich habe das Gefühl ich bin an einem Punkt wo ich mich selbst noch beweisen muss. Ein Spielfilm ist die Königsdisziplin eines Filmemachers. Bei „Thanatomania“ will ich versuchen so viel wie möglich selbst zu machen, die ganze Bürde auf mich nehmen. Dann kann ich hinterher sagen: ich habe es jetzt einmal gemacht, jetzt kann ich auch Sachen abgeben.
Andererseits ist es teilweise auch schwierig für mich, Leute zu finden. Je mehr Leute beteiligt sind, desto anstrengender wird es. Mittlerweile habe ich schon relativ viel Erfahrung allein zu arbeiten. Ich habe die letzten Filme fast allein gemacht, abgesehen von Kleinigkeiten, und man gewöhnt sich sehr schnell daran. In Zukunft kann ich mir auch vorstellen, dass sich das wieder ändert, aber erst nach „Thanatomania“.
Es ist natürlich auch eine Geldfrage. Ich finanziere meine Filme alle selber. Über Crowdfunding Kampagnen bekomme ich manchmal etwas dazu, aber das sind nur geringe Beträge. Das ist nicht immer ganz einfach, aber ich hoffe, einmal an einen Punkt zu kommen, an dem ich das alles noch vergrößern kann.
IF: Du hattest bereits Marian Dora angesprochen. Du warst Regieassistent bei “Pesthauch der Menschlichkeit” und hast außerdem die beiden Making-Of-Dokus zu dem Double-Feature von Marian Dora gedreht. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
RW: Ich fand Marians Filme schon immer interessant und wollte ihn gerne einmal kennenlernen. Ich habe es irgendwann geschafft ihn zu kontaktieren und wir haben uns dann einmal getroffen, um gegenseitig zu schauen, wen man da vor sich hat und ob man sich vorstellen kann vielleicht mal etwas zusammen zu machen. Da kam er dann mit seiner Idee zu einem Double-Feature. Er hatte dann auch relativ schnell die Skripte übersendet und da haben wir dann gedacht: okay das machen wir.
“Pesthauch” ließ sich dann auch relativ schnell machen. Die Idee war die beiden Filme back-to-back zu drehen, aber eine Darstellerin ist leider ausgefallen und ich bin leider auch nur bei dem Dreh zu “Pesthauch” dabei gewesen, wo ich auch den Job als sein Assistent übernommen habe.
Das war eine tolle Zeit mit Marian zu arbeiten. Es ist lustig zu sehen, wenn man die ganzen Geschichten über ihn kennt, wenn man sich so die Filme anschaut, die er macht und wenn man dann wirklich mit ihm zusammenarbeitet, merkt man, dass er ein hochintelligenter, ruhiger, besonnener und auch sehr komischer Mann ist. Ganz im Gegensatz zu dem Bild was einige wahrscheinlich im Kopf haben, zu den unglaublich brutalen Filmen, die er teilweise macht.
Ich habe die Behind the Scenes Aufnahmen noch zusätzlich gemacht und auch ganz viele Bilder. Da kam dann die Idee von ihm und er hat mich gefragt, ob ich da noch Interviews dazu machen will und so sind dann “Shooting Underground” und “Tribut der Unmenschlichkeit” entstanden.
Dazu gibt es auch Buchprojekte, die in Arbeit sind.
Hier geht es zu Teil 2 des Interviews: Interview Teil 2
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